Zurück ins Büro? Dann bitte im Hosenanzug.
Als sich vor 50 Jahren erstmals eine Frau im Zweiteiler in den Bundestag traute, war das ein Skandal. Auch heute ist das Hosentragen ein Statement.
Am 15. April 1970 betrat Helene-Charlotte von Bothmer als erste Frau in Hosen den Bundestag. Dessen Vizepräsident, Richard Jaeger, hatte zuvor erklärt, er würde keiner Frau erlauben, das Plenum in Hosen zu betreten oder gar am Rednerpult zu stehen. Seine Amtskollegin Liselotte Funcke von der FDP schlug den weiblichen Abgeordneten deshalb vor, ein Zeichen zu setzen. Ihr selbst fehlte das Format, meinte Funcke. Die SPD-Politikerin von Bothmer traute sich. Für ihren Auftritt kaufte sich die damals 54-Jährige einen hellen Zweiteiler. Sechs Monate später, am 14. Oktober 1970, hielt sie auch eine Rede im Hosenanzug.
Die Reaktionen? CSU-Hardliner Jaeger sah die Würde der Frau verletzt, von Bothmers Parteikollege Carlo Schmid die Würde des Hauses. Empörte Menschen schickten der Politikerin Wutbriefe. "'Da sieht man, wohin das mit den roten Parteiweibern führt', schrieben sie. Und: 'Sie sind keine Dame'", erinnerte sich von Bothmer im WDR. Der Aufschrei überrascht nicht, wenn man bedenkt, welche Rolle Frauen in der damaligen Politik spielten. Nach der Bundestagswahl 1969 stellten sie nur 34 der 518 Bundestagsmitglieder, etwas mehr als sechs Prozent. In der sozialliberalen Koalitionsregierung unter Brandt saß nur eine Frau: die Sozialdemokratin Käte Strobel - als Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit. So feministisch die Hosenaktion damals auch gemeint war, viele in der Frauenbewegung sahen das anders. "Man wollte nichts mit Frauen zu tun haben, die sich in Männerdomänen begeben", sagt Elisabeth Zellmer, Historikerin und Wissenschaftsmanagerin an der Technischen Universität München. "Das Anliegen der Frauenbewegung war eher, eine eigene, feministische Welt zu schaffen, abseits des bestehenden patriarchalen Systems."
Die Modemacher sahen das anders. Den ersten Hosenanzug für Frauen, der Aufmerksamkeit auf sich zog, kreierte Yves Saint Laurent. 1966 präsentierte der französische Modemacher der Welt: "Le Smoking", eine Revolution. Ab Mitte der Siebziger drehte sich die Damenmode verstärkt um männliche Kleidercodes. Power Dressing war angesagt: Punkte, Nadelstreifen und Hahnentritt statt Blumenmuster, maskuline Schnitte, markante Schultern und hochgeschlossene Ausschnitte. Perlenketten und anderer Schmuck setzten feminine Akzente. Doch statt Hosen trugen die meisten Politikerinnen damals noch Röcke. Heute tragen Frauen in hohen Ämtern eher Hose als Rock oder Kleid. Angela Merkel und ihre Blazer-Kombinationen sind das Paradebeispiel. Aber auch Ursula von der Leyen, IWF-Chefin Christine Lagarde oder Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen steigen oft in den Anzug.
"Wenn Frauen auf Hose und Jackett zurückgreifen und sich so dem männlichen Standard anpassen, versuchen sie, Diskussionen über ihre Kleidung zu vermeiden und hoffen, dass sie eher mit ihren Anliegen und Projekten Gehör finden", sagt Christina Holtz-Bacha. Die Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, die selbst gern Hosenanzug trägt, ist Expertin für politische Inszenierung. Bei verspielter Kleidung, so Holtz-Bacha, bestehe das Risiko, dass die Autorität infrage gestellt wird. "Bis jetzt jonglieren Frauen immer mit dem weiblichen Rollenbild und damit verbundenen Erwartungen sowie einem immer noch stark männlich geprägten Bild von Politik und Macht. Diese Gratwanderung überträgt sich auf den Kleidungsstil", sagt sie.
Anders als Männer wählen Politikerinnen aber meist zweifarbige Kombinationen. Die Bundeskanzlerin etwa tritt in der Regel in schwarzer Hose zu farbigem Blazer auf statt im einheitlichen Anzug. "Das könnte daran liegen, dass er für den täglichen Auftritt als zu elegant empfunden wird", sagt Holtz-Bacha. "Wenn Merkel ganz schwarz angezogen ist, hat das eine besondere Bedeutung, das macht sie bei speziellen Gelegenheiten und feierlichen Anlässen." Vielleicht hat die Farbzusammenstellung auch schlicht praktische Gründe, wie die Modesoziologin Monika Kritzmöller vermutet: "Eine Hose muss häufiger erneuert werden als ein Blazer, der zu verschiedenen Hosen getragen wird. Diese Kombinationen erleichtern auch das Reisen." Zudem sei es oft schwer, einen Anzug zu finden, der überall gut sitzt. Schließlich kann sich nicht jede Maßkleidung leisten wie Angela Merkel, die ihre Blazer seit Jahren bei der Hamburger Designerin Bettina Schoenbach bestellt.
Eine Politikerin, die den Hosenanzug zu ihrem Markenzeichen gemacht hat, ist Hillary Clinton. Im Wahlkampf gegen Obama trug sie oft schwarze, konventionelle Zweiteiler. Im Wettstreit mit Trump setzte sie dann auf moderne Schnitte und farbige Stoffe. Bei den Fernsehduellen trug sie Anzüge in Rot, Weiß und Blau – die Nationalfarben der USA. Männliche Dresscodes neu zu interpretieren, empfiehlt auch die Modesoziologin Kritzmöller. Frauen, die nur Anzug tragen, um ernst genommen zu werden, strahlten aus: "Ich unterschreibe die Regeln der Männer und unterwerfe mich ihnen." Besser sei es, als maskulin geltende Kleidung mit zum Beispiel taillierten Jacken, Seidenblusen oder Schmuck zu brechen. Oder Frau greift gleich auf eines der aktuellen Modelle zurück. Es sei denn, der Dresscode am Arbeitsplatz, auf den viele nun wohl bald zurückkehren dürfen, ist streng. Denn beim Hosenanzug-Trend in diesem Jahr geht es vor allem um Spaß und weniger ums Geschäft. Influencerinnen wie Caro Daur und Leonie Hanne präsentierten kürzlich etwa Hosenanzüge zu bauchfreien Tops, Zweiteiler mit Shorts oder Blazer auf nackter Haut. Das wäre selbst 2020 noch ein Skandal im Bundestag.
Note: originaler Artikel von https://www.spiegel.de